Rundweg Nr. 4 – Kreide

1. Anfänge bei Sassnitz

In dem überreichen Kreideangebot, das die Halbinsel Jasmund bot, sahen die Bewohner lange Zeit keinen Nutzen. Zwar wurde bereits ab dem 18. Jahrhundert Kreide gewonnen und Kalk gebrannt, doch noch Anfang des 19. Jahrhunderts schrieb der Heimatforscher Johann Jacob Grümbke, dass es der Insel Rügen besser getan hätte, wäre sie aus Stein geschaffen, um Steinbrüche anlegen zu können.

Für die Gewinnung wurden in der Frühphase erste kleinere Gruben angelegt. Später nahm man sie zusätzlich direkt von der Steilküste wie z. B. am Kieler Bach und von dort, wo sie ohne von einer Erdschicht bedeckt zu werden zutage trat – wie auf dem Fahrnberg bei Sassnitz. Anfänglich benutzte man den Kalk beinahe ausschließlich zur Tünche für die Häuser, allerdings erhöhte sich im Laufe der Zeit die Nachfrage durch vielfältige Verwendungsmöglichkeiten von Kreide wie z. B. für Farb-, Gips- und Zementherstellung. So nahm der Kreideabbau immer größere Dimensionen an. Besonders im 19. Jahrhundert wurden viele Kreidegruben eröffnet, vor allem bei Quoltitz, Poissow und in der Gegend um Promoisel. Die alten Tagebauten an den Crampasser Bergen bilden heute ein unübersehbares Sassnitzer Wahrzeichen.

Auf diesem längsten der sechs historischen Wege sollen die Kreide als Rohstoff und die Relikte ihrer Gewinnung in Sassnitz und der näheren Umgebung vorgestellt werden.

2. Kreideabbau

Die Arbeit in den Kreidebetrieben auf Rügen hatte sich über Jahrzehnte kaum verändert. Was heute durch moderne Maschinen erfolgt, wurde anfangs mit eigener Kraft vollzogen. Zu den gefährlichsten Arbeiten gehörte sicherlich das Abbrechen der Kreide mit der Spitzhacke. Die Arbeiter standen direkt am Hang ohne jede Art von Sicherung und brachen dort die Kreide, die dann über künstliche Schneisen direkt in eine sogenannte Kipplore fiel. Die Rohkreide wurde in das Rührwerk gekippt, wo unter stetiger Wasserzugabe größere Steine zu Boden sanken und die sogenannte „Kreidemilch“ bzw. „Kreidetrübe“ entstand. Diese floss über ein Rinnensystem zu Absetzbecken, wo die Kreide sich sammeln konnte und überschüssiges Wasser durch ein Rohr abgeleitet wurde. War nach Tagen in der Senkgrube ein fester „Kreideschlamm“ entstanden, musste er in mühsamer Arbeit per Schaufel aus der Grube in Schubkarren geschippt und zu den Trockenschuppen gefahren werden. Dort schaufelte man die Kreide als „Kreidekuchen“ in die Regale, bis sie eine ungefähre Restfeuchte von 5% erreicht hatten. Dann wurden sie entnommen, in Fässern zerstampft und per Schiff oder Eisenbahn zur weiteren Fabrikation abtransportiert.

3. Kreidewerk im Wald

Außer dem ca. zwei Kilometer westlich gelegenen Ort Buddenhagen, welcher etwa Mitte des 19. Jahrhunderts einging, befand sich an dieser Station einst das Baumhaus Buddenhagen – ein Relikt aus vergangenen Zeiten, als Baumwärter noch die Wege in die Stubnitz-Waldung bewachten. Ursprünglich gab es in der Stubnitz vier Baumhäuser, die Waldarbeitern auch später eine karge Unterkunft boten. In die Stille dieses Ortes sollte nun rege Betriebsamkeit treten, als 1926 der Sassnitzer Unternehmer Carl Hertel und sein Betriebsleiter Otto Rieger die Anlegung eines Kreidebruchs planten. Wenig später war das Baumhaus Geschichte und Kreidebruch, Schlämmbecken und Trockenschuppen bestimmten das Bild. Bis 1937 wurden über dreißig Trockenschuppen, ein Traktorenhaus, eine Sägerei, eine Böttcherei, Vorratsschuppen und Lagerhäuser und gegenüber dem Werk ein Wohnhaus errichtet, welches fortan von Rieger bewohnt wurde.

Nach dem zweiten Weltkrieg kam der Bruch in staatliche Hand und wurde bis ca. 1960 betrieben.

Die Station des Hertelschen Kreidebruches soll stellvertretend für die vielen kleinen Jasmunder Kreidebetriebe stehen, die bis in die 1950er Jahre das Bild der Halbinsel mitprägten.

Heute verblassen die Spuren der einstigen Nutzung. Hier im Nationalpark gestaltet die Natur die Fläche nun nach ihren eigenen Regeln. Außerdem dient das Mosaik aus Teich, Wiesen und werdendem Wald den Junior Rangern als Lernort.

4. Heilkreide

„Als ganz besondere Neuheit aber sei die Einrichtung der Kreidebäder hervorgehoben. Sie sind erst in jüngster Zeit als heilkräftig erkannt worden und üben besonders bei Hautausschlägen und ähnlichen Erkrankungen eine vorzügliche Wirkung aus. Außerdem aber werden die Kreidebäder, was besonders die Damenwelt interessieren dürfte, als Schönheitsbäder gerühmt, da sie von überaus wohltätiger Einwirkung auf den Teint sind.“ heißt es im amtlichen Führer für das Ostseebad Sassnitz des Jahres 1912. Die zunächst im Gemeindehaus und Warmbad (Rathaus) verabreichten Bäder und Packungen fanden guten Anklang. Mitte der 1930er Jahre versuchte Sassnitz sich durch das Produkt Heilkreide touristisch neu zu vermarkten und bewarb sich selbst als „Erstes Kreideheilbad der Welt“. Die Entwicklung wurde allerdings durch den 2. Weltkrieg jäh gestoppt.

Ab dem Jahr 1945 wurde durch den damaligen Chefarzt des Sassnitzer Krankenhauses, Dr. Fiedrich-Karl Wünn, eine Kreideschlammbäderabteilung eingerichtet, die in einem Wechsel von vier Wochen von jährlich ca. 360 Patienten der DDR besucht wurde.

Die Rügener Heilkreide – das „weiße Gold“ Rügens – erlebte nach 1990 eine Renaissance und spielt nach über 100 Jahren im Tourismus und der Medizin nach wie vor eine gewichtige Rolle. Vor allem durch die langsamere Wärmeabgabe wird das Kreideschlammbad bevorzugt. Dr. Fiedrich-Karl Wünn bemerkte schon damals: „Das dunkle Moor hat in der Kreide einen weißen Bruder gefunden.“

5. Sassnitz‘ Wahrzeichen

Im Jahr 1910 eröffnete der Unternehmer Carl Galitz an den Crampasser Bergen seinen Kreidebruch, der von Anfang an als der rentabelste angesehen wurde. Durch den Eisenbahnanschluss konnte die verarbeitete Kreide ohne Umwege abtransportiert werden. Zwei weitere Brüche entstanden hier im Jahr 1923, das Saßnitzer Kalk- und Kreidewerk sowie der Bruch des Stralsunder Industriellen Wilhelm Bliesath. Dieser entschied sich, die Rohkreide vom Bruch in Fuhrwerken zum Sassnitzer Hafen zu fahren, welche dann in sogenannte Seeleichter verfrachtet wurde. Von Schleppern gezogen, gelangte die Kreide dann nach Greifswald, wo sich das Werk zur Verarbeitung befand. Durch diesen enormen Aufwand und die entstandenen Kosten, hielt sich Bliesath nur zwei Jahre in Sassnitz. Durch die Kreidebetriebsgesellschaft Greifswald zunächst in derselben Form weitergeführt, wurde das Werk schließlich im Jahr 1930 von Rudolf Galitz, dem Sohn von Carl Galitz, übernommen. Dass die Kreideindustrie nicht vor touristischen Einrichtungen Halt machte, zeigt das Beispiel des Restaurants „Bergschlösschen“. Seit 1879 war es ein beliebtes Ausflugsziel in den Crampasser Bergen, da man von hier aus einen umfassenden Blick auf Sassnitz, Crampas und die gegenüberliegende Küste hatte. Im Jahr 1923 erwarb Wilhelm Bliesath das Pachtgelände des Bergschlösschens, machte aus dem Restaurant eine Werksarbeiterunterkunft und riss es letztendlich 1926 ab.

Noch einige Jahrzehnte drangen die Brüche weiter in die Stubnitz vor. Die Reste dieser Tagebauten, welche bis 1962 in Betrieb waren, bilden heute ein Wahrzeichen von Sassnitz.

6. Kreideseilbahn

Eine von vielfältigen Möglichkeiten Personen und Materialien von A nach B zu befördern ist seit dem 17. Jahrhundert die Seilbahn. Auch außerhalb der damaligen Gemeinde sorgte eine Materialseilbahn dafür, die Rohkreide aus dem Lenzer und später Lanckener Kreidebruch gen Hafen zu befördern.

Den Startschuss für dieses Unternehmen gab der Besitzer der Waldung und Erbauer des Schlosses Dwasieden sowie Besitzer des Gutes Lancken: Adolph von Hansemann. Er stieg in den 1870er Jahren in das Kreidegeschäft ein und legte am Lenzberg (nordwestlich der heutigen Merkelstraße – Einfahrt Hiddenseer Straße) einen Rohkreidebruch an. Kurze Zeit später wurde hier eine erste Materialseilbahn errichtet. Hansemann, immer an Neuerungen und Modernisierungen interessiert, war auch in Sachen Elektrizität Vorreiter. Ab 1900 brannten auf Dwasieden und Lancken „gläserne Kerzen“ und auch die Seilbahn wurde nun elektrisch betrieben, was der damaligen Presse eine Meldung wert war: „Auch nach dem Lenzer Kreidebruch wird ein starker Strom geleitet werden, um hier als treibende Kraft an einer Drahtseilbahn für Kreideförderung zu wirken. Diese Bahn führt in der Nähe von Dwasieden zu einer Brücke, von welcher aus die Rohkreide direkt ins Schiff geschüttet wird.“

Im Jahr 1903 wurde die Kreideproduktion in den Lanckener Bruch hinter dem Garzer Busch verlegt. Die Seilbahn zog mit um und versah ihren Dienst noch bis 1945. Als Reparationsleistung wurde sie demontiert und in die Sowjetunion verschifft.

7. Werk Klementelvitz

Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs kam die Kreideproduktion vollends zum Erliegen. Allerdings wurde der Rohstoff beim Wiederaufbau dringend benötigt, sodass nach 1945 insgesamt 19 Brüche den Betrieb wieder aufnahmen. Nach Zusammenlegungen von Werken und wechselnden Zuständigkeiten wurde 1957 der VEB Vereinigte Kreidewerke Rügen geschaffen.

Mit zunehmenden Anwendungsbereichen und geforderten Mengen war eine Weiterführung des Betriebes mit kleinen Brüchen nicht mehr möglich, was eine Modernisierung der Abbau- und Verarbeitungstechnik zur Folge hatte. Nördlich des ehemaligen Gutes Klementelvitz wurde daher ein neues Kreidewerk errichtet. Strategisch günstig an der Eisenbahn gelegen, ging es 1962 in Betrieb. Zusätzlich wurde der schon vorhandene Tagebau Wittenfelde ca. 3 km nördlich des Werkes großräumig erschlossen. Die kleineren Brüche ließ man eingehen.

Durch neue Technologien im Bruch, wie dem Bagger UB 80 und dem gleisgebundenen Abtransport der Kreide mit eigener Kreidebahn, ebenso in der Verarbeitung, verkürzte sich die Zeit vom Abbauort bis zur Verpackung des getrockneten Materials auf 80 Minuten. Heute gelangt die Kreide auf einem Förderband direkt aus dem Bruch Promoisel ins Werk. Der Tagebau Wittenfelde ist renaturiert.

Die Einsatzbereiche der Rügen-Kreide erstrecken sich heute von der Rauchgasentschwefelung in Kohlekraftwerken über Düngekalk in Land- und Forstwirtschaft bis hin zur beliebten Rügener Heilkreide.